Managementaufgabe 1

Managementaufgabe 1:
Möglichst „unverstelltes“ Wahrnehmen – Relevante Informationen beschaffen

Aufgabe ist nicht Funktion

In einem systemischen Grundverständnis müssen Manager Führungsfunktionen erfüllen, die geeignet sind, um ein System im „Hier und Jetzt“ stabil zu steuern. Gleichzeitig müssen diese auch in der Lage sein ein System für das „Morgen“ und eine sich ändernde Umwelt abzusichern. Dem Management muss es gelingen Ressourcen so einzusetzen und auszubalancieren, dass sowohl den heutigen wie den zukünftigen Anforderungen Rechnung getragen wird und der Systemzweck überdauernd erfüllt werden kann. Diese Managementfunktionen werde ich detailliert im Bezugsrahmen für ein wirksames Management in kommenden BLOG-Beiträgen vorstellen.
Ich schlage vor in Abgrenzung zu diesen überlebenswichtigen Managementfunktionen Aufgaben von Führungskräften nochmals grundsätzlicher zu verstehen und abzugrenzen. Eine Funktion wird z.B. die Aufnahme von Erneuerungsimpulsen für ein System sein. Kann dies eine Führungskraft wirklich alleine bewerkstelligen? Ist dies eine klar abgrenzbare Aufgabe einer Führungskraft oder kann sie hier eigentlich nur einen Beitrag leisten, da sich die Funktion bereichs- und ebenenübergreifend durch das ganze System „hindurchziehen“ wird, wenn diese wirklich Wirkung entfalten soll.
Ich denke zu diesen Managementfunktionen kann ein Manager egal auf welcher Hierarchieebene und unabhängig von Talent, Leistungsfähigkeit und Engagement (zumindest in einer Organisation) nur Beiträge leisten. Eine erste grundlegende Managementaufgabe wird bei den Beiträgen zu allen Funktionen sein, relevante Informationen zu beschaffen.

Dies klingt banal – insbesondere in einer digitalen Welt, in der nahezu alle Informationen per Knopfdruck zur Verfügung stehen. Die Betonung liegt hier jedoch auf Relevanz. An vielen Stellen stehen uns im Management nicht zu wenige Informationen zur Verfügung, sondern es sind zu viele. Begriffe wie „Info-Pollution“ sind immer häufiger zu hören und machen deutlich, dass die Qualität der Information wichtig ist. Ist die Information grundsätzlich valide oder ist diese gegoogelt und unreflektiert übernommen? Ist die Information in dem konkreten Anwendungsfall oder der aktuellen Fragestellung überhaupt hilfreich? Und können wir in jedem Fall „wichtig“ und „hilfreich“ erkennen oder verstellen uns nicht neben der unüberschaubaren Quantität von Informationen auch zahlreiche Verzerrungen unserer eigenen Wahrnehmung den Blick?
Möglichst unverstellt als Führungskraft wahrzunehmen wird somit bedeuten sich mit eigenen Wahrnehmungsverzerrungen auseinander zu setzen, zu prüfen, ob die notwendigen Informationen möglichst ganzheitlich vorliegen und ob über systemische Zusammenhänge die Wichtigkeit von Informationen erkannt und verstanden wird.

Unsere Wahrnehmung ist verzerrt

Der Mensch nimmt über seine fünf Sinnesorgane (Augen, Ohren, Nase, Zunge, Haut) einen Input von 10⁹ bit pro Sekunde auf. Diese Daten werden durch Auswahl und Verarbeitung im Gehirn erst auf eine Informationsfülle von 10² bit/s reduziert (das ist nur noch ein Zehnmillionstel des Inputs!) und dann durch Assoziationsvorgänge in der rechten Hirnhälfte wieder auf 10⁷ bit/s angereichert (vgl. Vester 2002: Die Kunst vernetzt zu denken, S. 23). Assoziation bedeutet hierbei, dass unser Hirn den Input mit bisherigem Wissen und Erfahrungen abgleicht und bei vorhandenen Parallelen Aspekte ergänzt, die jedoch nicht zwangsläufig stimmen müssen. Oder wenn wir ehrlich sind: die Wahrscheinlichkeit ist recht gering (auch wenn Assoziationen nicht per se unnütz, in vielen Situationen sogar hilfreich sind).
Das Tückische im Management ist jedoch, dass wir alle Informationen, die im Widerspruch zu unseren bestehenden Ansichten und Überzeugungen stehen ausfiltern. U.a. Rolf Dobelli nennt dies in seinem Buch „Die Kunst des Klaren Denkens“ THE CONFIRMATION BIAS. Können wir unserer Verantwortung im Management gerecht werden, wenn wir in unserem „Sehvermögen“ eingeschränkt sind und wir blinde Flecken haben, die uns zum großen Teil nicht einmal bewusst sind?

Mit aller Kraft gegen die Verzerrungen stellen

Aus meiner Sicht nur dann, wenn wir uns bestmöglich gegen diese Verzerrungen stellen und stetig unsere Annahmen und Überzeugungen reflektieren (Aufgabe 2). Nur wenn wir unseren Wahrnehmungen nicht 100% trauen, sondern diese stetig in Frage stellen, können wir verhindern, dass wir:

  • z.B. Menschen, die wir spontan im ersten Moment sympathisch finden nicht durch eine „rosarote Brille“ betrachten und blind sind für dessen Unzulänglichkeiten und Schwächen,
  • z.B. in Gruppen uns unbemerkt von Gruppendynamiken „einfangen“ lassen und dem Common Sense folgen, obwohl wir es eigentlich besser wüssten,
  • z.B. durch die Erfolge einer Organisation in der Vergangenheit blind werden für die Trends und Veränderungen, die bisherige Erfolgspotenziale in zukünftige Risiken umwandeln werden.
  • unsere Sicht der Dinge für ausschlaggebend halten, obwohl andere Perspektiven wichtige Impulse und Aspekte zu einem Sachverhalt besteuern könnten.
  • systemische Zusammenhänge übersehen, weil unser Denken von linearem Ursachen-Wirkungsdenken geprägt ist.

Dialog und Austausch

Damit sie auf eigene blinde Flecken aufmerksam werden, suchen wirksame und verantwortungsvolle Führungskräfte den Dialog und Austausch mit Mitarbeitenden und Kollegen. Die indische Fabel der Blinden, die gemeinsam einen Elefanten erkunden zeigt, dass ein umfassendes Bild oft erst durch das Zusammenbringen verschiedener Perspektiven gelingen kann. Perspektiven, die man bewusst selbst (gedanklich oder real) einnimmt oder die durch verschiedene Gesprächspartner angeboten und im Dialog vertreten werden. Hierdurch entsteht ein ganzheitlicheres Bild und der Dialog hat einen weiteren Vorteil. Sollten Führungskräfte zu Entscheidungen kommen (Aufgabe 3) haben Kollegen oder Mitarbeitende Ihre Informationen und Perspektiven bereits einmal gehört bzw. konnten ihre Sicht einbringen. Commitment und Umsetzungserfolge der Entscheidung steigen.

Systemisch denken

Abschließend noch ein paar wichtige Hinweise, wie relevante von weniger relevanten Informationen unterschieden werden können. Informationen zu den Eigenschaften, Verhaltensweisen und Wirkzusammenhängen von und in Systemen sind für die Steuerung extrem hilfreich. Auch hier wird jeder spontan „na klar“ denken, „Was ist hier der neue Gedanke?“ Doch in vielen Unternehmen und in vielen Köpfen von Führungskräften werden Detailinformationen zu einzelnen Systemelementen akribisch erhoben, analysiert und verwaltet. Viel Zeit und Geld werden investiert und Nerven strapaziert – doch sind die Informationen wirklich steuerungsrelevant? Nein, in der Regel sind sie dies nicht. So ist z.B. nicht die zweite Nachkommastelle eines Profitcenterergebnisses für die Führung in Zukunft wichtig, sondern Wissen über Zusammenhänge und Einflussgrößen, die wirtschaftliche Erfolge vorsteuern. Diese sind oft ungenauer und schlechter zu dokumentieren, jedoch kraftvoller für ein verantwortungsvolles zukunftsorientiertes Management.

Es braucht Persönlichkeiten

Machen wir uns nicht vor: auch wenn wir systemische Zusammenhänge denken, uns möglichst ganzheitliche Bilder schaffen und eigene Wahrnehmungen kritisch reflektieren – unsere Informationen werden auch immer mit Unsicherheit und Ungenauigkeit verbunden sein. Aber genau dafür braucht es Persönlichkeiten im Management, die hier Verantwortung übernehmen und Unsicherheiten mit persönlichen Überzeugungen beantworten.

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